Porträt
Die Neue an Luthers Stätte: Seit Juli ist Franziska Nentwig neuer Burghauptmann auf der Wartburg. Dabei wollte die gebürtige Dresdnerin ursprünglich einmal Musik machen.
Wer über sie sprechen will, der hat es schwer. Heißt es "die Burghauptmann" oder "die Burghauptfrau" oder trifft es "Chefin der Burg" am besten? Auf die kleinen Schwierigkeiten ihrer Bezeichnung angesprochen, lacht Franziska Nentwig. "Es heißt einfach Frau Burghauptmann", berichtigt die 55-Jährige, auf deren Visitenkarte der männliche Titel seit dem 1. Juli zu finden ist. Sie habe, sagt Nentwig, kein Problem, wenn die Benennung ihrer Funktion manchen Menschen Schwierigkeiten beschere; wichtig sei ihre Arbeit, und das habe sich – sagt die Frau Burghauptmann der Wartburg – auch schon im Bewerbungsverfahren gezeigt: "Man hat keine Frau oder keinen Mann gesucht, sondern jemanden, der das inhaltliche Gepäck trägt. Wäre ich als Quotenfrau genommen worden, hätte ich es nicht gemacht."
Aber das angesprochene Gepäck ist groß und bisweilen schwer. "Die Burg hat fast 1000 Jahre wechselvolle Geschichte aufzuweisen und sie ist jeden Tag aufs Neue ein faszinierender Ort, den es zu entdecken gilt." Die Würdigung als Weltkulturerbe der Unesco, die die Burg unter Nentwigs Vorgänger Günter Schuchardt schon vor 23 Jahren erfuhr, gehöre dazu: "So ein Titel ist keine Medaille, die man sich umhängt. Daran muss man immer wieder arbeiten."
Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn das Potenzial der Burg nicht voll genutzt werden könnte.
Dass Franziska Nentwig inzwischen auf der Burg auch sprichwörtlich angekommen ist, das merkt man nicht nur an ihrer Liebe zur Veste, die in jedem zweiten Satz darüber mitzuschwingen scheint. Es zeigt sich vor allem dann, wenn sie scherzend lutherische Steilvorlagen bedient und Dinge sagt wie: "Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn das Potenzial der Burg nicht voll genutzt werden könnte."
Und dennoch, das bleibt dem achtsamen Gesprächspartner der Frau Burghauptmann kaum verborgen, liegen ihre Wurzeln ein gutes Stück östlich von Eisenach. Hin und wieder blitzt im sonst so sauberen Hochdeutsch Frau Doktor Nentwigs der Dresdner Einschlag durch. Jenes sympathisch-mundartliche, das sie auch nach Jahren in Potsdam und Berlin nicht ganz verloren hat. Auf ihre Kindheit angesprochen, erinnert sie sich an eine "glückliche Zeit voll Natur und Kultur". Der Vater sei Physiker gewesen, aber immer mit einer großen Leidenschaft zur Musik, die er auch an die Tochter weitergab. "Für uns waren Kunst und Kultur ein Escape-Weg aus den Restriktionen der DDR", sagt die gebürtige Dresdnerin, die an der dortigen Spezialschule für Musik studierte. Nicht unerheblich sei dabei auch der Einfluss Johann Sebastian Bachs und seiner Werke gewesen. "Bach kann man nur mit voller Demut dienen", erklärt Franziska Nentwig, die in Musikwissenschaft promovierte und deren erste Stelle als Chefin eines Museums sie bereits 2002 an den Fuß der Wartburg ins Eisenacher Bachhaus führte.
"Schon damals empfand ich diese besondere Verbindung zur Burg auf dem Berg und schaute immer wieder hinauf." Dass sie selbst einmal Hauptmann der Burg wird, damit habe Franziska Nentwig allerdings nicht gerechnet – und das nicht nur wegen des für eine Frau doch so ungewöhnlichen Titels. In einer Fachzeitschrift habe sie das Stellengesuch für die Leitung der angeblich deutschesten aller Burgen gesucht. Und in der Tat, dass es ein Magazin für die berufliche Nutzung und keine Regenbogenpresse war, das scheint zur Frau zu passen, die "arbeiten" als ihr größtes Hobby nennt und die verrät, dass sie schon einmal bis lange nach Sonnenuntergang am Schreibtisch hoch über Eisenach sitzt. Natürlich, um die Magie der Wartburg bei Nacht zu erfahren und mit dem I-Phone zu fotografieren. Aber auch, weil sie eine aufrichtige Passion für das zu haben scheint, was sie da tut.
Dass sie Mann und Sohn, beide zogen für ihren Ruf mit ins etwa 80 Kilometer von der Burg entfernte Erfurt, da an vielen Tagen weitaus kürzer sieht als die mittelalterlichen Gemäuer, das gehöre dazu. Trotzdem würden die beiden die Begeisterung für den ungewöhnlichen Ort auf dem Berg teilen.
Fast täglich pendelt Franziska Nentwig zwischen dem noch neuen Wohn- und dem alten Sehnsuchtsort hin und her. "Mein BMW trägt mich schon seit vielen Jahren und nun eben auch immer wieder nach Eisenach", sagt sie und berichtet, dass sie nicht nur gern fährt, sondern die Zeit im Auto zu nutzen wisse. "Fürchterlich oft" seien es dann Hörbücher und klassische Stücke, die aus den Lautsprechern kommen und sie über die Autobahn 4 begleiten. Letztere besonders gern von Kirill Petrenko dirigiert, zu dem sie über den Freundeskreis der Berliner Philharmoniker eine besondere Beziehung habe; ihr Mann sitzt dem Berliner Verein vor.
Dass sie für die neue Aufgabe nicht in "Luthers liebe Stadt" mit einem Arbeitsweg von wenigen Minuten bis zur Burg und einem stetigen Blick auf das kupfergrüne Dach des Pallas gezogen sei, habe mehrere Gründe. Neben der Ausbildung des Sohnes sei es auch die hervorragende Anbindung Erfurts an die bisherige Berliner Heimat gewesen, die sie in die Landeshauptstadt zog. Und, so ergänzt Franziska Nentwig: "Der Job des Burghauptmanns ist nicht parteipolitisch, aber die Politik gehört ganz ohne Zweifel mit zur Wartburg." Diese sei aus der Landeshauptstadt heraus sehr gut zu bedienen, schließlich ist die für Thüringer Kultureinrichtungen verantwortliche Staatskanzlei am Erfurter Hirschgarten zu finden.
Als Politikerin sieht Franziska Nentwig sich dennoch auf keinen Fall. Vielmehr sei sie eine Vermittlerin und Impulsgeberin. "Auf unseren Kultureinrichtungen lastet ein großer Druck, unseren Aufgaben erfolgreich nachzugehen. Das versuchen wir hier umzusetzen."
Besagte Aufgaben sieht Franziska Nentwig dabei vor allem darin, die Burg "fit für die Zukunft" zu machen und neben der Digitalisierung auch die Rolle der Wartburg für eine vermeintliche deutsche Identitätsgeschichte herauszustellen. "Die Burg ist nicht nur ein Museum, sie ist ein Kristallisationspunkt für ganz vieles", sagt sie, wobei Nentwig ebenso auf die "zerklüftete Gesellschaft" anspielt und die herausfordernde Diskussionskultur, die sie vom Geburtsort des Wartburgfestes aus bewegen will.
Es sind große Aufgaben, schweres Gepäck, das die Frau Burghauptmann nun zu tragen hat, gerade im Jahr 500 nach der Übersetzung des Neuen Testaments.