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Eine Nonne sitzt auf einem Stuhl, in ihrer Hand eine Kerze in einem Plastikbecher.

Feature

Mit rund 15.000 erwarteten Besucher*innen könnte der Katholikentag in Erfurt der Kleinste seit dem Jahr 2000 werden. Einige kontroverse Themen stehen auf dem Programm.

Ist der Wolfram-Leuchter im Erfurter Dom eigentlich ein Aaron und gehört er darum als Darstellung eines Hohepriesters in eine Synagoge? Die Diskussion darüber entbrannte 2016, entfacht durch den Erfurter Professor für Religionswissenschaft, Jörg Rüpke, in der Thüringischen Landeshauptstadt. Bei einem Besuch im Erfurter Mariendom war Rüpke bei der Vorbereitung für eine Fachtagung auf den Leuchter-Mann gestoßen. Die Bronzeskulptur im Besitz der katholischen Kirche könnte, hätte der Professor mit seiner These recht, ins Eigentum der Jüdischen Landesgemeinde übergehen. Rüpkes Überlegung führte zu einer teils emotionalen Debatte und einer Auseinandersetzung, wie sie das kleine Bistum Erfurt gar nicht gewöhnt ist.

Bistum Erfurt ist kleines Bistum in Deutschland

Das Bistum Erfurt ist einfach zu klein und in vielerlei Hinsicht auch zu unwichtig, als dass es Bühne großer Debatten sein könnte. Auf der Deutschlandkarte der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz ist der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung hellorange eingefärbt: Zwischen fünf und neun Prozent der Menschen ordnen sich je nach Region selbst als katholisch ein – beziehungsweise zahlen die entsprechende Kirchensteuer. Nur die Bistümer Magdeburg, Dresden-Meißen und Görlitz haben noch geringere prozentuale Anteile von Katholik*innen an der Gesamtbevölkerung zu verzeichnen. Mit seinen 33 Pfarreien steht das Bistum Erfurt auf den vorletzten Platz unter den deutschen (Erz-)Bistümern. Und bei durchschnittlich 12 von 1.000 Menschen, die auch die Gottesdienste besuchen, ist in den Kirchen zwischen Eichsfeld und Saale-Unstrut normalerweise viel Freiraum.

In dieser Diaspora-Region des Katholizismus findet von heute an bis Sonntag der 103. Deutsche Katholikentag statt, der vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und dem gastgebenden Bistum Erfurt gemeinsam veranstaltet wird, und sich die großen Themen unserer Zeit vorgenommen hat. Mit dem Katholikentag als Großevent will die katholische Kirche wieder einmal positiv auf sich aufmerksam machen.

Rund 15.000 Besucher*innen werden erwartet. Gerade so viele, wie die Wartburg in Eisenach innerhalb von gut zwei Wochen besuchen. Auch im Vergleich zu anderen Katholikentagen, etwa Regensburg 2014 mit 33.000 Gäst*innen oder selbst dem von der Corona-Pandemie geprägten Stuttgarter Katholikentag 2022 mit immerhin 27.000 Anwesenden wird Erfurt klein ausfallen. Die Gründe für das Kleinerwerden scheinen vielen Beobachter*innen klar: Es wird ein Katholikentag in der ostdeutschen Diaspora und es ist ein Katholikentag, der in einer „normalen“ Arbeitswoche stattfindet. Denn während immerhin sechs Bundesländer, darunter Bayern und Baden-Württemberg, am Fronleichnamstag frei haben, ist es in Thüringen nur das Eichsfeld, das einen gesetzlichen Feiertag verzeichnet. Eine Terminwahl, die innerhalb des Bistums hinter vorgehaltener Hand kritisiert wird.

Bischof Ulrich Neymeyr sieht den Wortgottesdienst an Fronleichnam dennoch als Höhepunkt der Veranstaltung, während viele Katholik*innen daran gewöhnt sein dürften, am Hochfest des Leibes und Blutes Christi die Eucharistie zu feiern. Ob sich die Befürchtungen bestätigen, dass es nur wenige Besucher*innen nach Erfurt ziehen wird, werden wir in den kommenden Tagen beobachten können. Die Erfurter Gastronom*innen bekunden aber jetzt schon, dass sie für die Tage der Veranstaltung gut ausgebucht sind.

Politik in der katholischen Parallelwelt

Es ist nicht ganz Thüringen das dem katholischen Glauben fernsteht. Nein! Ein von unbeugsamen Katholiken bevölkerter Kreis hört nicht auf, dem Eindringling Säkularisierung Widerstand zu leisten. Das Eichsfeld lässt sich zurecht als ein Gallisches Dorf Thüringens beschreiben. Mit einer Fläche von 1.540 Quadratkilometern ist die Region im Nordwesten des Freistaats Thüringen zwar nicht sehr groß, der katholische Einfluss ist allerdings nicht zu unterschätzen. Die starke katholische Prägung des Eichsfeldes hat sich auch während der DDR erhalten, gerade im Gegenüber zur betont atheistischen Propaganda des SED-Apparats. Der Katholizismus im Eichsfeld war eine Art Parallelwelt im DDR-Sozialismus, das katholische Milieu schmilzt seit der Wiedervereinigung zwar kontinuierlich, aber langsamer als anderswo ab.

Insbesondere die politische Landschaft des Eichsfeldes spiegelt das bis heute wider. Sie ist so sehr CDU-geprägt, dass AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke es sich nicht einmal traute, im Landtagswahlkampf 2024 hier um das Direktmandat zu buhlen, obwohl er in Bornhagen im Landkreis Eichsfeld wohnt. Mit Dieter Althaus (CDU), Ministerpräsident des Freistaats von 2003 bis 2009, hatte das Eichsfeld lange Zeit einen prominenten Vertreter in der Landespolitik. Doch die Verhängnisse rund um seinen Ski-Sturz ermöglichten ausgerechnet einer protestantischen Pastorin, Christine Lieberknecht (CDU), den Aufstieg in das wichtigste Amt des Landes Thüringen. Seit 2014 ist mit Bodo Ramelow ein weiterer prominenter Protestant (mit einer kurzen Unterbrechung) Ministerpräsident von Thüringen, der erste und einzige der Partei DIE LINKE.

Die Landespolitik im religiös indifferenten Thüringen ist mit erstaunlich vielen christlichen Akteur*innen gesegnet. Dass der Landtagswahlkampf auch auf dem Katholikentag eine Rolle spielt, ist keine Überraschung. Vertreter*innen der AfD, die derzeit die Umfragen anführt, sind explizit nicht eingeladen. Ministerpräsident Bodo Ramelow hat hingegen gleich vier Auftritte in seinem Katholikentagskalender stehen: Er wird den Katholikentag heute Abend auf der Bühne an den Domstufen mit eröffnen, außerdem gemeinsam mit der Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages, Kristin Jahn, am Freitagmorgen eine Bibelarbeit gestalten, an einem Podium zum Thema „Arm, abgehängt und selber schuld?“ teilnehmen und gemeinsam mit ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp am Samstag den „Aggiornamento-Preis“ der Deutschen Katholikentage verleihen.

 

Der Spitzenkandidat der CDU für die Landtagswahlen, Mario Voigt, hingegen diskutiert nur einmal und in seiner Funktion als Professor für Digitale Transformation und Politik im Programm des Katholikentages: Am Freitagnachmittag geht es um die Digitalisierung der Arbeitswelt, u.a. gemeinsam mit der SPD-Bundestagsabgeordneten Kerstin Griese, die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesarbeitsministerium und Mitglied im Rat der EKD ist. Neben dem ehemaligen Bundestagspräsidenten und umtriebigen Katholiken Wolfgang Thierse (ebenfalls SPD) ist sie Sprecherin des Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD. Thierse wird auf dem Katholikentag gemeinsam mit Hamideh Mohagheghi eine christlich-islamische Bibelarbeit halten. Ein kirchliches Event in Thüringen ohne die ehemalige Ministerpräsidentin Lieberknecht scheint für die Organisatoren ebenso unvorstellbar: Sie wird mit dem Soziologen Hartmut Rosa, der auf dem Katholikentag gleich auf vier großen Bühnen zum Einsatz kommt, und dem Berliner Erzbischof Heiner Koch auf dem „Sachsen-Sofa“ über Demokratie und Religion debattieren.

Zusätzlich zur thüringischen und ostdeutschen Politprominenz zieht es auch führende Politiker*innen aus Berlin nach Erfurt: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) kommen für je eine Veranstaltung nach Erfurt. Der CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz hingegen, obwohl selbst Katholik, fehlt anders als noch auf dem Evangelischen Kirchentag im vergangenen Jahr.

Die Auftritte der Spitzenpolitiker*innen sorgen jedoch schon im Vorfeld für Kopfschmerzen: Immer wieder hat es bei Besuchen im Freistaat in jüngster Vergangenheit Sicherheitsrisiken gegeben. Die Visite Habecks beim Südthüringer Nougathersteller Viba hatte zu einem digitalen Shitstorm und analogen Autokorso vor dem Schmalkalder Schoko-Werk geführt. Auch weniger prominent besetzte Veranstaltungen finden unter direktem Polizeischutz statt. So wird der Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Stephan Kramer, am Freitagnachmittag im Refektorium der Predigerkirche mit jungen Menschen über die Frage „Wer schützt unsere Demokratie?“ sprechen. Für die Veranstalter offenbar eine Risiko-Debatte.

Jüdisches Erbe, ostdeutsche Perspektiven und Leerstellen im Programm

Seit dem Herbst 2023 steht Erfurt mit seinem jüdisch-mittelalterlichen Erbe auf der UNESCO-Welterbeliste. Als bauliche Zeugen dieser Geschichte sind die Alte Synagoge, die Mikwe und das „Steinerne Haus“ nun ein „herausragendes Zeugnis der Menschheitsgeschichte“ und laden zur Erkundung ein. Zur jüdisch-christlichen Geschichte Erfurts gehören allerdings auch mehrere Pogrome im Hochmittelalter. Im Museum der Alten Synagoge können Besucher*innen sich über das wechselnde Schicksal der Juden in der Stadt informieren. Dort liegt im Übrigen auch der legendäre Erfurter Schatz, dessen Hochzeitsring das Logo des Jüdischen Lebens in Erfurt prägt und der einen Anteil am Welterbetitel hat, den das jüdische Bauensemble nun tragen darf.

Ein willkommener Aufhänger, um auch auf dem Katholikentag über Antisemitismus zu sprechen. Und in der Tat: Sieben Mal findet den Begriff „Antisemitismus“, wer einen Blick in das Programm des Katholikentags wirft. Pikantes Detail dabei: Ausgerechnet im Dasdie, jener Einrichtung, in der die Werteunion mit ihrem Ministerpräsidentenkandidaten Hans-Georg Maaßen ihre Mitgliederversammlung abhielt, findet die Theateraufführung „Asking the pope for help – Briefe jüdischer Menschen im Holocaust an den Vatikan“ statt.

Der Katholikentag macht es jedoch nicht nur möglich, das reiche jüdische Erbe der thüringischen Landeshauptstadt zu erforschen, sondern auch, sich auf ostdeutsche Perspektiven auf Kirche und Gesellschaft einzulassen. Über die Frage, ob von ihnen genügend im Programm zu finden sind, wurde während der Vorbereitung auch öffentlich gestritten: Mit einem Interview in der Thüringer Allgemeinen kritisierte der damalige Vorsitzende des Katholikentags-Trägervereins, Erfurts Alt-OB Manfred Ruge, dass die ostdeutsche Sichtachse bei den Organisator*innen zu wenig Beachtung finde. Bistum und ZdK wiesen die Anschuldigungen zurück. Ruge trat, wie er es schon 2019 beim Förderverein der Bundesgartenschau (Buga) gemacht hatte, vom Vereinsvorsitz zurück. Nur eine weitere Provinzposse? Im Interview bei katholisch.de legte der Erfurter Bischof jedenfalls Wert darauf, dass sich 80 der 500 offiziellen Katholikentagsveranstaltungen mit Geschichte und Gegenwart Ostdeutschlands befassen.

Bedeutend dünner sieht das Programm allerdings aus, sucht man nach Veranstaltungen, die sich mit den Kriegen in der Ukraine und Gaza sowie mit dem Nahost-Konflikt befassen. Das ist auch angesichts des Leitworts zum Katholikentag – „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ – erstaunlich. Das friedensethische Programm erscheint einigen Akteur*innen aus der christlichen Friedensbewegung so unergiebig, dass sie ein „alternatives Friedenszentrum“ auf die Beine gestellt haben.

Über die Situation der Christ*innen im Heiligen Land wenigstens soll am Freitagnachmittag in der Brunnenkirche u.a. mit Nikodemus Schnabel, dem Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem, diskutiert werden. Schnabel hatte im März die Zurückhaltung der Organisator*innen bei Veranstaltungen zum Nahost-Konflikt kritisiert. Und am Samstag diskutieren Shira Efron, Jürgen Hardt (CDU), Omar Shaban Ismail und Michael Roth (SPD) unter der Leitung von Muriel Asseburg im Großen Haus des Theater Erfurt (Theaterplatz 1) über „Israelis, Palästinenser:innen und die deutsche Verantwortung“ (mit Livestream).

Eine Bühne für die wichtigen Debatten?

Die Veranstaltung wurde erst kurzfristig ins Programm aufgenommen. Auf diesem Weg wird einer der zentralen Kontroversen dieser Tage wenigstens ein wenig mehr Raum im Programm gegeben. Vor allem aber will der Erfurter Katholikentag, so scheint es, auf Kommunikation und Verständigung setzen, auf den „gesellschaftlichen Frieden“ hinwirken. Das Programm ist voller demokratietheoretischer Angebote, die vom „Europatag“ am Donnerstag bis zur Debatte „Demokratischer Frieden in Zeiten des Populismus – Wie stärken wir die politische Mitte?“ reichen. Ist Erfurt für Kontroversen etwa zu klein?

Zum Erfurter Theater gelangt man übrigens stilsicher, wenn man aus der Altstadt kommend zunächst die Domstufen erklimmt und am Dompalais vorbeispaziert. Im Dom selbst steht übrigens noch immer der Aaron- bzw. Wolfram-Leuchter. Und das hat einen einfachen Grund: Die große Entdeckung von 2016 war ein Sturm im Wasserglas. Das Forschungsteam um Rüpke fand heraus, „dass die christliche Inschrift des Leuchters bereits mit der Figur zusammen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts gegossen wurde“. Damit wurde die These von der  jüdischen Herkunft des Leuchters widerlegt. Fruchtlos sei der Streit um den Leuchter aber keineswegs gewesen, erklärte der Vorsitzende der jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, damals: Schließlich habe die Diskussion doch Teile der dunklen Erfurter Geschichte, insbesondere des Pogroms von 1349, wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.

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